Grevenhagen , Hauptstadt der Mollenhauer

Wann immer früher auf einem westfälischen Bauernhof ein Schwein geschlachtet wurde, ein „Brennetrog" stand sauber ausgeschrubbt bereit. Hausschlachtungen auf dem Land sind selten geworden, und noch seltener ist so ein Brennetrog. Es war ein ein etwa 2 m langer, gut einen Arm breiter Holztrog, in dem das gerade geschlachtete Schwein mit kochend heißem Wasser übergossen und abgebrüht wurde. War das Schwein zerlegt, wurde der Trog noch einmal gebraucht, um darin das Fleisch einzusalzen.
„Schwienemolle" nannten die Bauern diesen Trog auch, und damit war bereits das besondere des Arbeitsgerätes angedeutet. Denn der Trog war nicht aus einzelnen Brettern zusammengezimmert, sondern aus einem halben Holzstamm gehauen, so daß eine halbrunde „Mulde" entstand — eine „Molle" eben, wie es im westfälischen Platt hieß. Kleinere Mollen, etwa 1,20 m lang und rund 60 cm breit, verwandten die Frauen auf dem Land früher, um im Backhaus den Brotteig vorzubereiten und zu kneten. Wenn die Bäuerinnen und Mägde Butter stampften und das Wasser aus der frischen Butter kneteten, dann griffen sie zu besonderen Buttermollen. Hölzerne Mollen jeder Größe wurden oft und viel gebraucht, und das nicht nur in den ländlichen Haushalten Westfalens. Entsprechend groß war denn auch die Bedeutung der „Mollenhauer"  -  eines heute verschwundenen Handwerkszweiges in Westfalen, der früher in vielen Dörfern und Kleinstädten vertreten war.

Grevenhagen, Haupstadt der Mollenhauer
Die „Hauptstadt der Mollenhauer" war die kleine Ortschaft Grevenhagen. Sie liegt westlich von Nieheim im Kreis Höxter, gehörte aber früher als sogenannte „Exklave" zum Fürstentum Lippe. Noch um die Jahrhundertwende lebten allein in Grevenhagen ein dutzend Mollenhauer. Sie allerdings — und das war typisch für diesen Beruf — gingen dem Handwerk nur nebenberuflich nach. Die meisten unter ihnen waren im Hauptberuf Landwirte oder Waldarbeiter, andere verdienten ihr Geld mit einer Gastwirtschaft, oder sie verdingten sich im Sommer als Wanderarbeiter in Ziegeleien.
Sie alle betrieben die Mollenhauerei ausschließlich in den Herbst- und Wintermonaten.


Wilhelm Dreier aus Grevenhagen führt das alte Handwerk vor.
Bild: Archiv Hillebrand

„Viel verdienen konnte man nicht"

„Wenn der Winter kam und es draußen so recht nichts mehr zu tun gab, konnte man sich damals kein Stempelgeld abholen. Es wurden Mollen gehauen. Je nach Witterung ging es so Ende Oktober, Anfang November los, und im März des darauffolgenden Jahres war dann wieder Schluß." So erinnert sich einer der letzten Mollenhauer Westfalens, der 1912 geborene Grevenhagener Handwerker Heinrich Sondermann. Und er fügt hinzu: „Viel verdienen konnte man dabei nicht, aber es war mehr als gar nichts."
Als Rohstoff verwandten die Mollenhauer überwiegend Weiden- und Pappelholz. Das weiche Holz konnten die Mollenhauer ohne großen Aufwand spalten und bearbeiten. Außerdem ist es relativ leicht, so daß selbst die großen, massiven „Brennemollen" noch gut hin- und hergetragen werden konnten. Und schließlich reißt das Pappelholz mit seinen feinen Fasern nicht so schnell.
Pappeln und Weiden, so erinnert sich Heinrich Sondermann, wurden an den Bachläufen der Gegend um Grevenhagen gefällt — und zwar im Herbst, wenn die Bäume ihr Laub verloren hatten. „Die Bauern waren froh, wenn sie den einen oder anderen Baum verkaufen konnten. Das Festmeter kostete vor dem Krieg rund 40 Mark." Das Fällen übernahmen die Mollenhauer am liebsten selbst: „Mit Axt und Säge gingen wir dabei vorsichtig zu Werke, damit der Stamm unten nicht aufplatzte. Eine ausgewachsene Pappel mit einem unteren Durchmesser von 80 cm war gut für sechs bis acht Brennetröge."
War der Stamm mit dem Pferdefuhrwerk auf den Hof des Mollenhauers transportiert, ging der Handwerker gleich ans Werk. Denn frisches Holz ließ sich leichter bearbeiten. Der Stamm wurde in Stücke zu etwa 2 m Länge geschnitten und anschließend mit Keilen aus Buchenholz in zwei Hälften gespalten.

Holzabfälle gab es nicht
Anschließend wurden die Stammhälften vorsichtig ausgehöhlt. „Eine gute Portion Erfahrung und eine geübte Hand gehörten zum Aushauen schon dazu", so Heinrich Sondermann, „schließlich sollten die Stammhälften ja nicht einfach ausgehöhlt werden. Es kam darauf an, das Holz so herauszuhauen, daß aus dem .Kernstück' eines Brennetroges noch eine Metermolle und aus dem .Abfall' der Metermolle noch eine Buttermolle entstehen konnte.
Auch aus dem Rest stellten wir praktische Dinge her. Es durfte so wenig Holz wie möglich zu Abfall werden." War das Innere des Troges ausgehoben, schlug der Mollenhauer das überstehende Holz aus der Wandung. Anschließend wurde der Trog auf einen besonderen Arbeitsbock gelegt. Dort erhielt er innen und außen seinen letzten Schliff. Dazu verwandten die Mollenhauer Ziehmesser und „Dechsel" in unterschiedlicher Größe - Beile mit quergestellter, nach innen abgerundeter Schneide.
Wenn Innen- und Außenwandung geglättet waren, wurden die Oberkanten noch mit Bandeisen beschlagen. Das sollte ein schnelles Einreißen des Holzes verhindern. Die Mollenhauer stellten aber auch noch andere Gerätschaften für die Haus- und Stallwirtschaft her: die Holzgießen etwa, die von den Bauersleuten so genannten „Geuten". Mit diesen schmalen und langstieligen, vorne leicht ausgehöhlten Holzkellen besprengten die Bäuerinnen früher ihr Leinen, wenn sie es zum Bleichen auslegten. Die Geuten wurden bis in die 20er Jahre verwandt, ehe sie allmählich von Gießkannen verdrängt wurden. Auch Mehl- und Schrotschaufeln, Wurfschüppen und Holzfüllen, mit denen die Bauern das Schweinefutter aus dem „Schwienepott" schöpften, stellten die Mollenhauer in großer Zahl her. Auf Bestellung fertigten sie ferner die sogenannten „Schannen" — hölzerne Tragjoche, die über die Schultern gelegt wurden. An jede Seite wurde ein Eimer gehängt, und so konnte man Wasser holen oder die Milch von der Weide nach Hause tragen.

Holzfüllen jetzt „nostalgischer Hintergrund"
All diese Gerätschaften sind längst aus der Land- und Hauswirtschaft Westfalens verschwunden. Die Hausschlachtungen gingen besonders seit den 60er Jahren zurück, Brennetröge und Wurstmollen werden nicht mehr benötigt. Backtröge und Buttermollen haben ausgedient, die Eimer und Schaufeln sind durch die billigeren und auch haltbareren Metallprodukte ersetzt worden.
Die meisten Mollenhauer in Grevenhagen und anderswo in Westfalen gaben bis Ende der 50er Jahre ihr „Neben-Handwerk" auf. Heinrich Sondermann: „In den wenigen ,Fättkes', die ich noch fertigte, werden heutzutage Blumen angepflanzt, und meine Holzfüllen werden als nostalgischer Hintergrund für Trockenblumengestecke an die Wand gehängt. Keiner meiner drei Söhne hat nach altem Brauch zu Axt und Dechsel gegriffen. Sie haben die Berufe des Werkzeugmachers, Malers und Autoschlossers erlernt."

Bilder: Mollenhauerwerkzeug Thomas Wiedemeier
Text aus einem unbekannten Zeitungsausschnitt ca.1980
Bearbeitet und übertragen von Hans-Ulrich Rüngener